MAZ 6.05.2004: Auf der Jagd nach dem Aussteiger in Buckau

MAZ 6.05.2004
Auf der Jagd nach dem Aussteiger
Scientologe landet wegen Nötigung im Straßenverkehr vor dem Amtsgericht Brandenburg
ULRICH WANGEMANN

BRANDENBURG/H. Sekten sind sehr anhänglich. Sie umarmen ihre Mitglieder und sie lassen sie überhaupt nicht gern gehen. Verhasst ist ihnen der Aussteiger, vor allem, wenn er über das Innenleben der Organisation berichtet.

So ein Mann ist Gerald Armstrong. Der US-Amerikaner war zwölf Jahre lang Mitglied der Scientology-Kirche. Er besaß das Vertrauen des Gründers L. Ron Hubbard, er wurde dessen Biograf und er verwaltete das Archiv der Freikirche. 1981 stieg er aus, ließ – so sieht es die Sekte – einen Stapel vertraulicher Papiere mitgehen und wandelte sich zu einem der weltweit schärfsten Kritiker der Glaubensgemeinschaft. Seither herrscht ein offener Krieg zwischen Armstrong und seinen ehemaligen Glaubensbrüdern, eine Auseinandersetzung, die gestern im Amtsgericht Brandenburg/Havel einen vorläufigen Höhepunkt fand.

Vordergründig ging es um ein Verfahren wegen Nötigung im Straßenverkehr. So etwas kommt alle Tage vor. Aber auf der Anklagebank saß kein links blinkender Bleifuß, sondern der Berliner Immobilien-Sachverständige und bekennende Scientologe Mirko Otto. Und der 34-Jährige hatte nicht irgendwen bedrängt. Er hatte den renitenten Aussteiger gefunden.

Der Fall könnte einem schlechten Agentenfilm entlehnt sein: Am 19. Januar 2003, einem Sonntag, hatte Dirk Otto mit Kamera und Teleobjektiv bewaffnet vor dem Haus des Sektenbeauftragten der evangelischen Kirche, Thomas Gandow, im Dorf Buckau bei Brandenburg/Havel Stellung bezogen. Otto war ganz nah dran. Er wusste, dass Gerald Armstrong unter das Dach das Sektenbeauftragten geschlüpft war. Allein es fehlte der Beweis.

Als die Gandows in Begleitung Armstrongs in ihrem Auto zu einem Gottesdienst in Berlin aufbrachen, heftete sich der Scientology-Mann an ihre Fersen. Auf der A2 in Richtung Berlin fuhr er auf der mittleren Fahrspur an das Auto des Kirchenmanns heran und knipste die Insassen. Thomas Gandows Ehefrau Ute, die das Auto steuerte, sagte, Ottos Opel sei bei Tempo 100 bis auf eine Armlänge an ihr Auto heran gekommen. „Ich hatte Angst, er schaute ja gar nicht auf die Straße, sondern durch den Sucher.“

Dann habe sich der Beschatter vor ihren Wagen gesetzt und die Fahrt verlangsamt, so dass sie bis auf eine Geschwindigkeit von 50 Stundenkilometern abbremsen musste. Otto sei anschließend davon gefahren, habe aber am nächsten Rastplatz gewartet, um das vorbei fahrende Auto des Pfarrers von der anderen Seite zu fotografieren.

Dann sprang Otto wieder in sein Auto und wiederholte das Spielchen. „Er fuhr so dicht auf, dass ich das Nummernschild nicht mehr im Rückspiegel sehen konnte“, sagte Ute Gandow gestern aus. Wieder fuhr er vorbei und fotografierte die Insassen. Auf Höhe des Dreiecks Werder fing ihn schließlich eine von Thomas Gandow herbeigerufene Streife der Autobahnpolizei ab.

Otto streitet die Verfolgungsjagd nicht ab. „Im Auftrag der Kirche“ habe er Bilder von Thomas Gandow und seinem Gast schießen sollen. Es sei um einen „Haftbefehl gegangen“. Scientology argumentiert, sie habe mit Hilfe der Fotos Gerald Armstrong ausfindig machen wollen, um ihn dann gerichtlich belangen zu können.

Tatsächlich hatten die Sekte und Armstrong zur Tatzeit eine Rechnung offen. Es ging um 10 Millionen Dollar. Auf diese Summe hatte Scientology den Aussteiger vor einem US-Gericht verklagt. Er soll angeblich eine Schweigevereinbarung gebrochen haben, die er mit der Organisation getroffen hatte. In diesem Übereinkommen hatte Armstrong gelobt, kein schlechtes Wort mehr über die Scientologen zu verlieren. Bei Zuwiderhandlung wurde Schadensersatz in Höhe von 500000Dollar vereinbart. Nach Überzeugung der Sekte hat Armstrong sein Wort inzwischen 20 mal gebrochen – macht zusammen zehn Millionen Dollar.

„Gerry wollte sich in Deutschland auf den Prozess vorbereiten“, sagt Thomas Gandow, der Armstrong acht Monate lang unter seinem Dach in Buckau beherbergte. Die Scientologen hatten Armstrong schon bald bei dem streitbaren Theologen vermutet. Weihnachten 2002 etwa stand ein angeblicher Paketbote im Garten der Familie Gandow und wollte ein Weihnachtspäckchen an Armstrong abgeben – der Mann war ein Agent der Sekte. Auf Gandow, der Armstrong gern als Vorzeige-Aussteiger mit auf Reisen nimmt, sind die Freikirchler ohnehin nicht gut zu sprechen. Die Organisation unterstellt ihm ein „Selbstverständnis in etwa zwischen einem Inquisitor und Kreuzfahrer“. Der evangelische Pfarrer habe sich auf Scientology „eingeschossen“.

Die Brandenburger Amtsrichterin weigerte sich gestern, in die Tiefen dieses Konflikts einzutauchen. Sie beschränkte ihre Fragen auf den Eingriff in die Verkehrsordnung. Entsprechend unspektakulär fiel die Entscheidung des Gerichts aus: Dirk Otto muss 1000Euro an das Kinderhilfswerk Unicef zahlen. Im Gegenzug wurde das Verfahren eingestellt.

Gerald Armstrong lebt inzwischen in Kanada. Ein US-Gericht hat ihm eine Geldstrafe von 500000Dollar auferlegt, zahlbar an Scientology.

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